Die Uno und Israel im Streit über Gaza

Experten der Vereinten Nationen kommen zum Schluss, israelische Soldaten hätten an der Grenze zu Gaza teilweise Menschenrechte verletzt. Die israelische Regierung weist den Bericht empört zurück.

Ulrich Schmid, Jerusalem
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«Einige der Menschenrechtsverletzungen könnten Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sein, die Israel umgehend untersuchen muss», sagte Santiago Canton, der argentinische Vorsitzende der Untersuchungskommission. (Bild: Martial Trezzini / EPA)

«Einige der Menschenrechtsverletzungen könnten Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sein, die Israel umgehend untersuchen muss», sagte Santiago Canton, der argentinische Vorsitzende der Untersuchungskommission. (Bild: Martial Trezzini / EPA)

Im Rahmes des «Marsches der Rückkehr» ist es im letzten Jahr an der Grenze zu Gaza immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Im Mai 2018 setzte der Uno-Menschenrechtsrat eine als unabhängig bezeichnete Untersuchungskommission ein. Sie hatte den Auftrag zu prüfen, ob das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte verletzt wurden. Der Berichtszeitraum reichte bis Ende 2018. Die Kommission hat nun in Genf ihren Schlussbericht vorgelegt, in dem es heisst, israelische Soldaten hätten teilweise die Menschenrechte verletzt.

Verhinderte Hilfeleistung

«Einige der Menschenrechtsverletzungen könnten Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sein, die Israel umgehend untersuchen muss», sagte Santiago Canton, der argentinische Vorsitzende der Untersuchungskommission.

Besonders alarmierend sei, dass Kinder und Menschen mit Behinderungen «absichtlich» zur Zielscheibe gemacht worden seien, sagte das Kommissionsmitglied Sara Hossain, eine Anwältin aus Bangladesh, die zusammen mit Canton und Kaari Betty Murungi, einer Menschenrechtsanwältin aus Kenya, die dreiköpfige Kommission bildete.

Minderjährige mit schweren Verletzungen, die in speziellen Spitälern hätten behandelt werden müssen, hätten von Israel zum Teil keine Ausreisegenehmigung erhalten, ergänzte Hossain. Ein 14-Jähriger sei an einer Blutvergiftung gestorben, weil er in Gaza nicht adäquat behandelt werden konnte und nicht ausreisen durfte.

Viele Beobachter, Menschenrechtsorganisationen und Journalisten weltweit, die Israels Recht auf Selbstverteidigung nicht anzweifeln, haben sich gefragt, ob es wirklich nötig sei, mit schwerer Spezialmunition tief nach Gaza hinein zu schiessen, um als gefährlich eingestufte Personen zu liquidieren.

Laut der Kommission schossen israelische Scharfschützen am Grenzzaun bis Ende 2018 auf mehr als 6000 unbewaffnete Demonstranten. 189 von ihnen wurden laut diesen Angaben getötet, unter ihnen 35 Minderjährige. Drei seien durch farbige Westen als Sanitäter gekennzeichnet, zwei als Journalisten zu erkennen gewesen. Bei 122 Menschen hätten Gliedmassen amputiert werden müssen. Die Uno-Kommission stellt fest, solange es nicht um legitime Selbstverteidigung gehe, sei es ein Kriegsverbrechen, Zivilisten ins Visier zu nehmen, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt seien.

Zwielichtige Rolle der Hamas

Israel hat die Anschuldigungen scharf zurückgewiesen. Ministerpräsident Netanyahu sagte, der Report reflektiere «neue Höhen der Heuchelei und der Lügen» und sei ein Resultat «obsessiven Hasses gegen Israel». Die Hamas sei es, die Raketen auf israelische Zivilisten abschiesse, Explosivkörper werfe und während der gewalttätigen Demonstrationen am Grenzzaun terroristische Aktivitäten entwickle.

Dies sei ein feindseliger, verlogener und einseitiger Bericht, sagte Aussenminister Israel Katz. «Niemand kann Israel das Recht auf Selbstverteidigung absprechen sowie die Pflicht, seine Einwohner und seine Grenzen vor gewalttätigen Attacken zu schützen.» Die Hamas, deren erklärtes Ziel die Zerstörung des Staates Israel sei, dränge die Einwohner des Gazastreifens an die Grenze, darunter auch Frauen und Kinder, und sie trage dafür die Verantwortung. Dies ist richtig.

Die Hamas hat zur Genüge bewiesen, dass sie hinter dem Marsch der Rückkehr steckt, dass sie die jungen Leute, die leicht entflammbar sind, aufhetzt und dass sie die angeblich so unbeeinflussbaren, da vom «Volkszorn» getragenen Protestaktionen quasi über Nacht zum Erliegen bringen kann, wenn zum Beispiel Kairo das verlangt.

Doch das ist nicht der Vorwurf der Kommission. Sie kritisiert vielmehr die inadäquate, übertriebene Gewaltanwendung. Von der israelischen Politik ist dazu im Grunde keine Antwort zu hören. Vonseiten der Armee heisst es dazu, als Erstes feuere man Warnschüsse ab, wenn Menschen dem Zaun «zu nahe» kämen – wohlgemerkt auf palästinensischem Boden, noch mehrere hundert Meter vom Zaun entfernt.

Wer dennoch weitergehe, werde unter Beschuss genommen, man ziele auf die Beine. Es gehe darum, die «zentralen Aufrührer» zu eliminieren. Bei einem Grossteil der tödlich Getroffenen handelt es sich bis heute tatsächlich um junge Männer. Frauen und Kinder sind die Ausnahmen. Die meisten Getöteten wurden als Mitglieder militärischer Flügel von palästinensischen Organisationen identifiziert, die meisten wurden relativ nahe am Zaun getroffen.

Damit ist allerdings die Frage nicht beantwortet, weshalb auch gekennzeichnete Helfer und sehr viele Unbewaffnete getroffen wurden. Die Kommission kritisierte auch die Hamas, die nicht verhindere, dass Palästinenser Brandbomben Richtung Israel schickten.

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